Sie haben nur 30 Sekunden


Sie haben 30 Sekunden – und bitte!
Sicher haben Sie schon oft gehört, dass Sie sich in Fernseh- und Hörfunkinterviews oder Statements kurz und knapp halten sollen. Kurz ist aber relativ und im Fernsehen heißt kurz eben maximal 30 Sekunden. 30 Sekunden sind ungefähr so lang wie ein Streichholz bei normalen Luftverhältnissen ohne Wind  brennt oder auch so lang, wie man ohne große Anstrengung die Luft anhalten kann, wenn man vorher nicht bewusst tief eingeatmet hat.

Aber warum sind 30 Sekunden eigentlich im Fernsehen eine so magische Größe? Die Zeitspanne von 30 Sekunden hat wahrnehmungs- und wirkungsspezifische Gründe.

Aufmerksamkeit und Reizerneuerung

Kommunikationswissenschaftler und Wahrnehmungspsychologen haben herausgefunden, dass die Aufmerksamkeit beim Konsum von Fernsehbildern ab einer Länge 30 Sekunden rapide abnimmt, wenn sich auf der Bild- und Tonebene nicht viel verändert.
Das bedeutet, dass der Zuschauer, Zuhörer oder allgemein der so genannte Rezipient einem Fernseh- oder Hörfunk-Statement ab einer Länge von 30 Sekunden nur noch wenig bis gar keine Aufmerksamkeit mehr schenkt. So werden Aussagen, die nach Ablauf der Zeitspanne von 30 Sekunden platziert werden,  nur noch sehr eingeschränkt beim Zuschauer oder Zuhörer hängen bleiben und erinnert werden. Das gilt besonders für Statements, die am Stück produziert werden und bei denen sich während des Statements bildlich nichts ändert. Um die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu erneuern, braucht es daher nach spätestens 30 Sekunden einen neuen audiovisuellen Reiz. Dieser kann z.B. durch den Wechsel von O-Ton zu so genannte Off-Text-Passagen entstehen oder in einem Interview durch  die Frage des Moderators. Auf jeden Fall aber ist nach 30 Sekunden erst mal Schluss. Dieser Schluss ist entweder ein erzwungener Schluss durch den Redakteur, wenn dieser einen  O-Ton nach 30 Sekunden einfach abschneidet  oder durch den Moderator, wenn dieser plötzlich eine Zwischenfrage stellt. Der Schluss kann aber auch ein natürlicher Schluss sein, wenn es der Statementgeber schafft,  nach 30 Sekunden einen sinnvollen Schlusspunkt zu finden. Das ist gemeint mit: Sie haben 30 Sekunden.

Diese wirkungs- und wahrnehmungspsychologischen Erkenntnisse fließen auch in die Produktion von Fernsehbeiträgen ein und speziell in die Gestaltung von Nachrichtenformaten. 

Klassische Nachrichtenformate

Im Nachrichtenbereich unterscheidet man grob 4 grundsätzliche Varianten von Nachrichtenformaten. Dabei sei angemerkt, dass sich diese reinen „Lehr-Formen“ in letzter Zeit durchaus wandeln und verändern. Wenn auch die Grenzen der Formate in Länge und Machart fließender werden, lässt sich das  Originalformat aber meist noch erkennen.

Meldung (1)

Das erste typische Nachrichtenformat ist die Meldung. Sie ist gleichzeitig auch die kleinste Einheit im Nachrichtenbereich. Die Meldung ist  zwischen 20 und maximal 50 Sekunden lang und kann unterschiedlich gestaltet sein. Die erste Variante ist die gelesene Meldung. Dabei spricht der Moderator zu einem im Hintergrund gestalteten Bild. Variante zwei ist die Gestaltung als Off-Maz. Hier spricht der Moderator einen Text und wird plötzlich durch so genannte Schnittbilder überdeckt, während sein Kommentar „aus dem Off“ weiter zu hören ist. Variante drei ist die NIF – Nachricht im Film. Die NIF ist ein mit Text versehener und tontechnisch bearbeiteter Einspielfilm mit einer Länge von 20 – 50 Sekunden.

Nachrichtenbeitrag (2) und Nachrichtenfeature (3)

In den Formaten zwei und drei - Nachrichtenbeitrag und Nachrichtenfeature sind - im Gegensatz zur Meldung - so genannte O-Töne enthalten. O-Töne sind Original-Töne und meinen die Aussage eines Beteiligten in Form eines Kamerastatements.  Und hier werden die 30 Sekunden wichtig.
(2) Der Nachrichtenbeitrag hat in der Regel eine Gesamtlänge von ungefähr einer Minute und 30 Sekunden  - daher auch „Einsdreissiger“ genannt  - und besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird mit Bildern und einem so genannten Off Sprecher ins Thema eingeführt, die Problematik aufgezeigt oder die Neuigkeit dargestellt. Der zweite Teil besteht dann meist aus dem O-Ton, also der Aussage eines Experten, eines Betroffenen oder ganz allgemein eines Beteiligten, der sich zum Thema äußert. Im dritten Teil wird diese Aussage wieder durch einen Bilderteppich mit Off-Sprecher abgenommen. Bei diesem  Aufbau gilt, dass der O-Ton innerhalb eines Beitrags maximal ein Drittel der Gesamtzeit des Nachrichtenbeitrags einnehmen sollte. Im Nachrichtenbeitrag also maximal 30 Sekunden.

Aufbau eines Nachrichtenbeitrags

(3) Das Nachrichtenfeature unterscheidet sich vom Nachrichtenbeitrag (3) zum einen durch die Länge, zum anderen durch die Anzahl der O-Töne. Das Nachrichtenfeature ist in der Regel ca. zwei Minuten und dreißig Sekunden lang. Der Aufbau besteht im Grundformat aus fünf Teilen, von denen mindestens zwei durch O-Töne abgedeckt werden. Diese werden jedoch meist nicht vom selben Statementgeber eingebunden. In der Regel versucht der Redakteur in einem Nachrichtenfeature Spannungen zu erzeugen und gegensätzliche Meinungen abzubilden. So kann bei einem Beitrag über die Werksschließung eines Unternehmens  im ersten O-Ton der Vorstand zu Wort kommen und im zweiten O-Ton ein Gewerkschaftsvertreter oder betroffene Mitarbeiter. Es gilt aber auf jeden Fall: Der jeweilige O-Ton Geber wird nur mit maximal 30 Sekunden im Beitrag eingebunden.

Es wird noch knapper - Der Nachrichtendruck verändert die Beitragsproduktion

Wir bereits erwähnt, wandeln sich die klassischen Nachrichtenformate aufgrund der veränderten Berichterstattung, der Informationsflut und dem Zeitdruck in den Nachrichtenmagazinen. So finden sich mittlerweile  in den klassischen 1`30er-Beiträge oft auch schon zwei O-Töne. Es gilt aber immer, dass die O-Ton Zeit innerhalb eines Beitrags nur maximal ein Drittel der Gesamtlänge des Beitrags ausmachen sollte. Daher wird die O-Zeit eben auf die beiden O-Töne verteilt. Das heißt aber, dass die O-Töne dann eben nur mit jeweils 15 Sekunden integriert werden. Und sie stammen – wie auch im Nachrichtenfeature– nicht von derselben Person. Eine echte Herausforderung für den O-Ton Geber.

Aufbau eines Nachrichtenbeitrags

Sonderform Interview (5)

Das fünfte Format ist das Interview. Es nimmt  eine Sonderrolle ein. Je nach Magazinformat kann ein Experte oder Beteiligter auch im Interview für eine Nachricht eingebunden werden. Man unterscheidet auch hier – analog dem Nachrichtenbeitrag bzw. dem Nachrichtenfeature zwei grundsätzliche Längen. Das Interview im 1´30-Format und das Interview im 2´30-Format.  In der Planung legen Redakteure sich für das 1`30er-Interview drei Fragen plus 1 Sicherheitsfrage zurecht und für das 2`30er Interview – auch gern als 5-Fragen-Interview bezeichnet – planen sie 5 Fragen und eine Zusatzfrage ein. Das bedeutet, auch hier rechnen die Medienmacher mit Antworten in der Länge von maximal 30 Sekunden. Denn dann kann nach ca. 30 Sekunden durch die neue Frage des Moderators ein neuer Reiz gesetzt werden.

Redakteure bearbeiten O-Töne

Nun gibt es sicher Statementgeber, die sich sagen: „Ich erzähle jetzt mal was zu dem Thema und dann soll sich der Redakteur oder Journalist die passenden 30 Sekunden raussuchen“. Diese Idee ist aus Sicht des O-Ton Gebers sehr gefährlich, denn es gibt unter den Medienmachern auch „gehetzte“, „faule“ oder „gemeine“ Redakteure. Die Gehetzten werden aus Zeit-,  und die Faulen aus Interessenmangel in der Regel den O-Ton von vorne laufen lassen und nach ca. 30 Sekunden einfach abbrechen. Für den O-Ton Geber wichtige Aussagen, die nach Ablauf der 30 Sekunden erzählt werden, fallen dann einfach weg. Der gemeine Redakteur hingegen hört sich den O-Ton in voller Länge an und überlegt ganz genau, welche Passage er am besten verwendet, um SEINE Geschichte zu erzählen. Der Gemeine wird sich genau überlegen, wo er den O-Ton beginnen und enden lässt, wenn ihm mehr als die übliche O-Ton-Länge von 30 Sekunden zur Verfügung steht. Und das muss nicht unbedingt die Passage sein, die der O-Ton Geber gerne von sich hören würde. Besonders in Krisensituationen kann dann passieren, dass genau die 30 Sekunden aus dem gesamten O-Ton verwendet werden, die den Statementgeber in ein ungutes Licht setzen oder die im Zusammenhang ein falsches Bild ergeben.

Die Kontrolle behalten

Um also die Kontrolle über das eigene Statement und die eigenen Botschaften zu behalten, sollten sich Statementgeber an die Aussagenlänge von max.20 -  30 Sekunden halten und sich im Vorhinein Gedanken machen, welche Botschaften die wichtigsten sind und welche Bilder beim Zuschauer hängen bleiben sollen. Dann besteht zumindest eine reelle Chance, dass das Statement, wenn es dann auch noch schlüssig gestaltet und formuliert ist, in der Originallänge und ohne irreführende Kürzungen oder manipulative Auswahl einer Sequenz gesendet wird.

Ein gelungener O-Ton, der wenig Interpretationsspielraum seitens der Redakteure lässt und die wichtigste Informationen für den Zuschauer zusammenfasst, könnte für zum Beispiel folgendermaßen lauten:
„Wir von Firma XY haben ein neues, umweltschonendes  Lackierverfahren entwickelt. Wir lackieren nicht mehr komplette Geräte, sondern nur noch Einzelkomponenten und montieren sie erst nach der Lackierung. Dabei wird ein Zweikomponentenlack eingesetzt, der gleichzeitig auch farbgebend ist. Durch das neue Lackier-Verfahren sparen wir einen kompletten Verfahrensschritt und reduzieren den Lösemittelanteil im gesamten Lackierprozess um XY Prozent. Für uns ist das neue Verfahren eine lohnenswerter Investition in die Zukunft.“
Hier finden sich alle wichtigen Informationen, die der Zuschauer in maximal 30 Sekunden aufnehmen und verarbeiten kann wie z.B.  Name des Unternehmens, technologische Neuheit sowie eine klare Darstellung der Vorteile für Firma und Umwelt. Selbst wenn der Redakteur diesen O-Ton kürzen müsste, hätte er diverse Möglichkeiten, bei der jeweils eine brauchbare Aussage mit verwertbaren Informationen herauskäme.

Autorin

BMTD

Kathrin Adamski



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