Bundeskanzler Olaf Scholz macht im Wahlkampf Station bei den FAZ-Lesern. Und überrascht mit – nichts.
Volker Siegert, 23.01.2025
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Die SPD und ihr Spitzenkandidat kämpfen um politische Relevanz. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl ist die einstmals stolze Sozialdemokratie in Umfragen auf Platz drei hinter die AfD gerutscht und hat die Grünen im Nacken. In dieser Lage stellt sich Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Veranstaltung der FAZ den Fragen der Leser:innen. Ich habe mich im Livestream zugeschaltet und bin gespannt, wie der Spitzenkandidat meinen Kopf und mein Herz gewinnen will.
Der erste Eindruck ist – fahrig. Der Kanzler kommt 20 Minuten zu spät, wird vom Moderator Berthold Kohler gleich in die erste Frage gedrängt und beantwortet diese brav, ohne selbst das Publikum zu begrüßen. Er sucht seine Sitzposition in einem etwas zu großen Sessel, kratzt übersprunghaft an Ohr und Nase, klammert eine Hand an die Sessellehne. Der Blickkontakt fehlt häufig – sowohl der zum Publikum als auch zum Moderator. Und zu allem Übel muss Scholz in einer Hand ein Mikrofon halten, das seine ohnehin sparsame Gestik weiter einschränkt. Ob ein Ansteckmikro oder Headset zur Wahl stand, wissen wir nicht. So steht jedenfalls eine Stunde lang ein Arm quer vor des Kanzlers Brust. Und der zweite kommt stützend hinzu.
Natürlich ist davon auszugehen, dass der Bundeskanzler regelmäßig seine Medienpräsenz trainiert. Aber sein heutiger Auftritt zeigt, dass auch Profis Chancen liegen lassen. Um den Kanzler selbst in leichter Variation zu zitieren: Wer Scholz bestellt, bekommt Scholz. Pathos klingt dann so: „Ansonsten mache ich Politik nicht, weil ich ein schönes Leben haben will, sondern weil es eine große Ehre ist, dafür zu sorgen, dass unser Land in herausfordernden Zeiten die richtige Richtung nimmt.“ Dies alles im gleichen Duktus, in dem er später über die digitale Krankenakte oder Unternehmenssteuern spricht. Schade! Leider nur selten verlässt er diese Haltung, und zugleich freut man sich als Zuschauer über die Öffnung der Körpersprache, Blickkontakt und den Einsatz von Gesten, wenn sie denn mal kommen.
Ob es dann das nahende Ende der Veranstaltung ist, das dem Kanzler sein berühmtes, verschmitztes Grinsen entlocken? Wie sehr hätte man sich mehr Emotionalität im Lauf der vorhergegangenen Stunde gewünscht.
Wie ein Kämpfer wirkt der Kanzler während des gesamten Gespräches nicht. Ganz sicher ist es wohltuend, dass da einer auf die Überzeugungskraft von Argumenten setzt, der bei der Sache bleibt und weder Panik schürt, noch andere diffamiert. Aber für meinen Geschmack wäre mehr Emphase, meinetwegen auch ein Wumms an den richtigen Stellen sicher hilfreich, wenn er eine Wahl gewinnen will.
Der Aufzeichnung des gesamten Gesprächs finden Sie auf dem YouTube-Kanal der FAZ:
https://www.youtube.com/watch?v=c3KI1GmdoVc
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